Kampfhund-Chaos

Hamburg-Wilhelmsburg trauert. Und eine ganze Nation steht unter Schock. Der grausame Tod des sechsjährigen Volkan hat für einen Aufschrei in der Bevölkerung gesorgt und selbst die trägsten Politiker wachgerüttelt.

Vier Wochen vor dem Kampfhund-Super-GAU haben Thomas Seekamp und Jens Fintelmann damit begonnen, den Kampfhunde-Alltag in der Großstadt Hamburg zu dokumentieren. Sie zeigen drei Kampfhunde und ihre Halter vor, während und nach der tödlichen Attacke von Wilhelmsburg.

Da ist Pitbull Cap. Fast ein Jahr wohnte er im Tierheim Süderstraße in einem Einzelzwinger. Einer von neunzig Kampfhunden, die das größte Tierheim Europas an seine Kapazitätsgrenzen gebracht haben und die Pfleger an den Rand des Nervenzusammenbruchs.

Um ein wenig Luft zu schaffen, haben die Hamburger Tierschützer "ihre" Kampfhunde bereits seit Monat einem neu entwickelten Aggressions-
test unterzogen. Vom Schnüffel-Kontakt mit Rüden und Hündinnen über eine Kinderwagen-Begegnung bis zur "Fahrt" in einer überfüllten Aufzugs-Attrappe: eine Prüfung auf Leben und Einschläferung. Die Testfrequenz soll sich nach dem Willen der Politiker drastisch erhöhen. 3000 bis 4000 Kampfhunde laufen noch durch Hamburgs Straßen. "Was der Senat beschlossen hat, lässt sich in der Praxis gar nicht umsetzen", schimpft der Tierheim-Boss Wolfgang Poggendorf, "die Verordnung ist eine Frühgeburt, wir lassen aus unserem Tierheim keine Tötungsmaschinerie machen".

Cap hat den Test bestanden und wurde vor zwei Wochen vermittelt. Lebt seither in einer Ein-Zimmer-Wohnung auf St. Pauli. Tatjana und Michael, die neuen Herrchen, haben ihn umbenannt: aus Cap wurde Captain. Seit vorgestern quält das Päarchen nur noch eine Frage: Wartet nach dem Kampfhundeverbot auf das neue Familienmitglied die Giftspritze? "Er ist doch so lieb", sagt Tatjana.

Auch Familie Leuckfeld (Vater, Mutter, Kleinkind, Pitbull) wollte einen Hund aus der Einzelhaft im Tierheim befreien: "Ein Bulli muß es sein". Der Favorit: Bullterrier Patty, in einer leeren Wohnung sichergestellt. Aber dem Kontrolleur von der Tierschutzinspektion war das etwas zuviel Kampfhund auf 68 Quadratmetern Bramfeld. Die Leuckfelds holten sich ihren "Bulli" schließlich von einem Züchter. Nach Volkans Tod investierten sie in zwei Maulkörbe. "Trotzdem werden wir bepöbelt und geschnitten", sagt Stefan Leuckfeld. Dass sie nach dem Senats-
beschluss den neuen Bullterrier "Grobi" behalten können, ihr 18 Monate alter Pitbull aber eingeschläfert werden soll, wollen die Leuckfelds nicht wahrhaben: "Unser Baby geben wir auf keinen Fall her!".

Und dann ist da noch Bobby. Nach ein paar Tagen Einzelzwinger mußte ihn das Tierheim laufen lassen. Auf amtstierärztliche Anordnung. Dass der Pit einen kleinen Chihuahua totgebissen hat, reichte vor zehn Tagen nur für eine Auflage: Maulkorbzwang. Sven und Kumpel Pele, die Bobby rausholen, halten davon gar nichts. Auch nach Wilhelmsburg und der neuen Verordnung zeigt Bobby Zähne.

Die Reportage "Kampfhund-Chaos" - eine Momentaufnahme, die dokumentiert, dass das Problem der gefährlichen Beißer noch lange nicht gelöst ist.